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blog 4 / tag 4 : mit tony soprano in bad rothenfelde

Autorenbild: sven söhnchensven söhnchen

Blog 4

Tag 4

 

 

Man wird ja doch leicht paranoid, wenn man sich in unmittelbarer Nähe eines Capo befindet. Bin ich bei Tony Soprano in Ungnade gefallen - oder wieso ging mein Auto gestern auf dem Rückweg zur Klinik kaputt? Gottseidank waren es noch nicht die Bremsen, aber urplötzlich sprang erst die Temperaturanzeige aus und dann die Motorleuchte an. Was will man mir mitteilen? Soll ich schweigen - über die ostwestfälische (oder ist das hier niedersächsische?) Gastfreundschaft zu untergetauchten Amerikanern mit italienischer Herkunft? Habe ich beizeiten beim Aufwachen einen Pferdekopf im Bett? Und was war nochmal mit Luca Brasi und den Fischen?

Hat Tony auch seine Hände in der Vergabe der Therapietermine? Es schmeckt mir nur bedingt, dass ich mit sieben Terminen ins Wochenende starten soll. Der schlechte Geschmack liegt wohl am Ehesten in den zwei sportiven Einheiten, die mir vom Terminmanagement zwischen Frühstück und Mittagessen eingetragen werden.

Andererseits: wenn man um 08:10 Uhr bereits mit dem Kraft-Ausdauertraining (sozusagen die klinikeigene Muckibude) beginnt, hat man wirklich keine anderen Probleme! Andere Probleme!? Wie passend…sofort wiehert der Pferdekopf im Hinterkopf.

Sehe Herrn Soprano zum ersten Mal an diesem Tag zum Mittagessen im Speisesaal. Es ist nicht zu bemerken, dass er mir eine besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt. Kein Tuscheln seinerseits mit irgendwelchen Mitpatienten oder kurzen, fast zufälligen, Blickkontakten zu mir. T., wie er von seinem Rechtsbeistand Silvio genannt wird, hat keine Ahnung, dass ich ihn erkannt habe - als Person des öffentlichen Lebens: was eventuell einige Witwen, Staatsanwälte oder Ungnädige lieber anders sehen würden. Bisher gehöre ich dieser Personengruppe nicht an. Ist es Zufall, dass mir nach dem Mittagessen der Klinikpsychologe M. über den Weg läuft? Oder läuft hier ein ganz großer Bluff?

Nach dem Mittagessen beginnt für die 75 Neuinsassen, die in dieser Woche ins Haus gekommen sind, ein dezenter Informationsmarathon, welcher in drei aufeinanderfolgenden Vorträgen aufgeteilt ist.

Man erfährt etwas über die Sinnhaftigkeit der Lebensmittel und der persönlichen Eigenverantwortung beim Essen. Es wird in dem Vortrag ausgespart, warum das Haus einen Großetat für Tomaten und Gurken zahlt. Oder ist Familie Soprano in das Business des Großhandels für Obest und Gemüse gewechselt - inklusive dem Abtransport von Küchenresten in sogenannten „Schweineeimern“. Das Müllentsorgungsgeschäft aus New Yorker Zeiten scheint dann weiterhin eine gute Möglichkeit bei der Beseitigung von unliebsamen Menschen zu sein. Eine Horde Schweine zermalmt den vorgeworfenen Restmensch bis zur Unendlichkeit! Diese Art der Beisetzung spart die Kosten, die mittlerweile für Urnen- oder Sargbestattungen anfallen.

Eine lilagewandete Pflegekraft übernimmt den zweiten Beitrag zur Einweisung in die Blutdruckselbstmessung. Mir war zuvor nichts bekannt von unterschiedlichen Manschettengrößen, dem systolischen und/oder dem diastolischen Wert. In kurzer Zeit habe ich was gelernt - und am Abend die erste erfolgreiche Selbstmessung praktiziert!

Auf dem Weg zum Frühstück wiegen, zweimal täglich Blutdruckmessen, pünktliche Medikamenteneinnahme - selbst ohne die Anwendungen artet die Kur in eine Stressphase aus. Bin gespannt, wie oft ich die Werteüberprüfung in meiner Klinikzeit vergessen werde.

Nach den zwei Vorträgen zum Essen und Blutdruckmessen ist die Meute der Neuankömmlinge bereits übersättigt mit Informationen und hat den gemeinsamen Wunsch, nunmehr in das erste Wochenende starten zu dürfen. Nur noch kurz das Grußwort vom ärztlichen Leiter der Einrichtung…

…welches nicht kurz ist. Der aufgedrehte Chef wächst in die Version des Entertainers - in einem 75minütigen, wahrscheinlich gut gemeinten, Vortrag mit Comedyansätzen. Selbst dreißig Minuten weniger wären bereits zuviel gewesen.

Der Doktor versteigert sich, geradezu verräterisch, in einen Hinweis auf den besonderen Gast im Haus. Ein Problemfeld in der Genesung durch den Klinikbesuch, könne auch der Ärger am Arbeitsplatz sein. Also…der permanente Stress mit dem Chef!? Originalzitat der Klinikleitung: „Manchmal hilft es nur, den Stress zu beseitigen!“!? Nachtigall, ick hör Dir trappsen….

Der Chefvortrag ermüdet und sorgt für eine Planänderung. Führe ein paar Telefonate und verordne mir eine eigene Mittagsruhe zum Start in das Wochenende. Das Zentrum von Bad Rothenfelde wird auch morgen noch zu besichtigen sein. Habe den Samstag bereits um kurz nach 07:00 Uhr mit einer Ergometer-Tour zu beginnen - und bringe dann den Wagen in die Werkstatt. Werde demnach früh unterwegs sein - in der Hoffnung, dass Tony noch schlafen wird und nicht mitbekommt, wo ich den Wagen überprüfen lasse! Der ortsansässige KFZ-Schrauber soll auch mal einen Blick auf die Bremsen richten, die in der vergangenen Woche noch vom TÜV überprüft und abgenommen wurden.  

 

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