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letzter blog 29 / letzter tag 29: mit tony soprano in bad rothenfelde

Autorenbild: sven söhnchensven söhnchen


Blog 29

Tag 29

 

Schlussendlich war es eine filmreife Szene am Morgen in Bad Rothenfelde.

Der Hauptdarsteller  (in dem Fall ich) fährt die lange Zufahrtsstrasse vom Klinikgelände herunter und sieht im Rückspiegel die sehnsüchtig hinterherwinkende und kleiner werdende Person, mit abschiedsverzerrtem Gesicht und feuchten Augen (in dem Fall Tony).

Wir hatten im Speisesaal noch etwas zusammengesessen und einen dritten und vierten Kaffee getrunken. Immer wieder gesellten sich anderen Personen dazu - beispielsweise erfuhr ich, dass sich die Bodensee-Grazien Steffi und Susanne bereits unlängst kennengelernt hatten. Als sie miteinander kommunizierten, entdeckte der dialektfreie Ruhrgebietler in mir eine völlig neue Variante der deutschen Sprache. Es soll sich um eine sprachliche Form des Badischen gehandelt haben - die kaum Erkennungspotential zur gemeinsamen Muttersprache hatte. 


Es gab ein paar Verabschiedungen von Mitpatienten - und dann half mir der Capo, meine letzten Utensilien im Cabrio zu verstauen. An der Autotür erzählte ich ihm eine weitere Geschichte von meinem Vater (nach dem Schlaf im Vorgarten von Herrn Bürgermeister). Auch diese war eine sichere Anekdote bei jeder Familienfeier:


Der Senior war begeisterter Ingenieur, der den Beruf von der Pike auf gelernt und nicht studiert hatte. Je ölverschmierter ein Einsatz sein konnte, umso wohler fühlte er sich - als Abwechslung zu seinem Bürojob bei einer Hydraulikfirma.

Diese hatte ihn in den 70er Jahren zu einem Einsatz nach Süditalien geschickt, wo eine der Pumpen nicht korrekt lief und man eine fachgerechte Reparatur verlangte. Der Senior fuhr im Ford Granada nach Italien und arbeitete einige Tage in der Fabrik. Ein Gewerkschaftsmitarbeiter (!?) wurde ihm zur Seite gestellt, der auf die Arbeitsschritte achtete - und auf die Einhaltung der Pausen- und Kantinenzeiten. Hieraus erwuchs die Freude meines Vaters an einem (oder so) Glas Rotwein beim Mittagessen. Nach einer knappen Woche, in der man auch einen nonverbalen persönlichen Kontakt pflegte, war das Problem der Pumpe zur Zufriedenheit aller Anwesenden geklärt. Laut Aussage meines Vaters (auf jeder Familienfeier oder vergleichbaren Anlässen), kam zum Abschluss der Vorarbeiter der Fabrik hinzu, erhielt vom Gewerkschaftsmitarbeiter einige Informationen und dankte dem deutschen Ingenieur mit den Worten „"Du bist Mafiosi - Du darfst wiederkommen!"“.

Mein Vater hatte es als grosse Auszeichnung verstanden, bei einer italienischen Firma als Mafiosi geadelt zu werden.


Tony und ich sahen uns in die Augen, dachten an unsere längst verstorbenen Väter und nahmen uns, zum Abschied, in den Arm. Als er nah mit seinen Lippen an meinem Ohr war, sagte er leise, aber deutlich:  "Si, torna indietro!"

Ja Tony, ich komm zurück nach Bad Rothenfelde! Irgendwann.

Aber, warum konnte er auf einmal die italienische Sprache?


Pünktlich um 09:00 Uhr war ich auf der A33, die mich auf den richtigen Weg zurück in die Heimat brachte, wo  ich 80 Minuten später ankam.

Willkommen zurück in der Heimat - bei Dauerregen zum Beginn des zweiten Halbjahres.

Langsam nahm ich meine Wohnung in Besitz, die in meiner Abwesenheit (in Teilen) neu gestrichen und (komplett) geputzt wurde. Räumte die ersten Taschen aus und führte ein paar Telefonate. Unter anderem mit meinem Kindheitsfreund, dem ich zum gestrigen Tod seiner Mutter kondolierte.

Das Motto der vier Wochen könnte also auch lauten:

"Eine Rehabilition und zwei Todesfälle!"


Erhole mich auf dem Wohnzimmersofa von den ersten Nachkurerledigungen und machte mich am Nachmittag auf den Weg der Besorgungen: brachte der Hausarztpraxis den vorläufigen Entlassbericht, bestellte neue Medikament und bat um einen Gesprächstermin mit der Hausärztin zu meinem Hüft-Problem, besuchte erstmals nach vier Wochen meine Ma im Altersheim, kaufte Obst und Gemüse im türkischen Supermarkt ein (auch Oliven und Pepperoni als Alternative zu Gurken und Tomaten), traf meine Tochter zum Miniplausch und sprach beim Fitnessstudio für die Aufnahme des T-Rena-Programms vor. Die Motivation wird dabei etwas gehemmt - der Einstieg ist frühestens in einer Woche möglich. Wäre schön, wenn bis dahin eine sommerliche Trockenperiode auftauchen könnte - damit ich zumindest Spazieren oder Fahrradfahren (mit Rad) könnte.

Der letzte Weg führt mich in den heimischen Supermarkt, wo ich den zu vorigen Einkauf um gesundes Brot, Cerealien, sowie Quark und Joghurt in jenen niedrigen Magerstufen erweitere, die man im türkischen Supermarkt für abwegig hält...


Der gesunden Ernährung steht in den ersten Tagen nach der Rückkehr vorerst nichts im Wege - dennoch mache ich direkt den ersten Fehler gegen das achtsame Essen! Ich decke den Tisch nicht hübsch, keine Kerze, kein Trinkgefäss, keine frischen Blumen - aber immerhin liegt eine Tischdecke bereit. Nutze den Küchentisch aber nicht und abendesse somit im Stehen. Es ist trotzdem eine schmackhafte Wohltat im kulinarischen Bereich - abseits des Rothenfelder Abendbuffets. Gönne mir dabei die Oliven und Pepperoni als Abendbrot-Hommage an meinen Kumpel Tony.


Werde zum Tagesabschluss noch eine kleine sportliche Aktivität vornehmen müssen - damit ich auch am ersten Tag der fünften Woche mein Schrittzählerminimum erreiche! Die Kur färbt ab - und das ist gut so!


Weiter geht’s`!


Nur leider nicht mit dieser Geschichte!

Aber wer weiss - vielleicht treffe ich Tony Soprano ja doch irgendwann mal wieder! Es würde mich freuen - wenn er nicht gerade mit einer Pistole rumfuchtelt oder sonstige Gebärden schlechter Laune an den Tag legt!

Schön, Dich mal persönlich kennengelernt zu haben, Tony. Und danke für Deine Begleitung durch meine Kur-Zeit.

 

Bye.

 

 

 

 

 

Eine letzte Empfehlung an die Stadt- oder Kurverwaltung von Bad Rothenfelde: es wirkt merkwürdig, wenn im Wissen um die Anwesenheit eines Mafiosis, Sitzgelegenheiten im Ort aufgestellt werden, auf denen "Heute schon gebaumelt?" geschrieben steht!

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