Blog 24
Tag 24
Um 07:10 Uhr rede ich mit einer Sporttherapeutin bereits über die Zeit nach der Kur - und für welches Bewegungsprogramm ich in Frage kommen könnte.
Entscheide mich für T-Rena (es hört sich für mich weiterhin nach der Produktlinie einer Inkontinenzfirma an) beimheimischen Bechelte Park.
Bei den terminierten Zeiten für das Reha-Programm muss ich schauen, wann ich da in den nächsten sechs Monaten regelmässig einen Platz finden könnte. Aber mir schwinden ansonsten etwaige Ausreden für das Nixtun: das Fitnessstudio liegt fussläufig unter 10 Minuten in meiner Hood.
Zumindest ist es deutlich, dass ich direkt weitermachen muss - vielleicht auch mit etwas Wassergymnastik.
Die dritte Einheit die ich in dieser Szene erleben darf, am aktuellen Arbeitsplatz von Bademeister Tony S., bereitet mir durchaus etwas Freude. Zumal keine Schmerzen in der Hüfte auftauchen(was für ein kleines, witziges Wortspiel).
Tanze selbst im tragenden Wasser noch lange nicht wie Nurejew - aber es scheint wirklich zu wohltuenden Erfolgen beizutragen.
In der Schwimmtruppe ist heute ein Grossteil meiner Bezugsgruppe. Zweimal werde ich angesprochen, ob ich es wirklich bin. Im Wasser trage ich bisher keine meiner Kopfbedeckungen, ohne die ich in den letzten 3 ½ Wochen das Zimmer nicht verlassen habe.
Beim Wasserspiel mit der Poolnudel (vom Appeal ist die Schaumstoffschlange auch nicht besser als die Stöckchen beim Nordic Walking - aber weniger gefährlich) läuft erneut beste Musik der 1980er Jahre - meiner Sturm- und Drangzeit. Unter anderem wurde das Schwimmbad mit Van Halens JUMP beschallt. Bei dem Lied brach ich mir vor 40 Jahren das Schienbein und das Sprunggelenk. Es folgten 10 Wochen im Krankenhaus - und es war der Start in mein zunehmendes Leben. Welches jetzt in Bad Rothenfelde, am Rande des Wiehengebirges, sein jähes Ende nimmt.
Hoffentlich!
Also - das Zunehmen - nicht das Leben!
Vor dem Schwimmbadbesuch mit Bewegungstherapie kam die 10köpfige Therapiegruppe bereits zu ihrer letzten Lerneinheit im Entspannungsraum zusammen. Mal wieder in den höchstbequemen Stressless-Sesseln sitzend, konzentrieren wir uns gemeinsam auf die Zusammenfassung der Ziele einer gewünschten Gewichtsreduzierung. Man kann meinen, dass alle Teilnehmer:Innen die Klinik kommende Woche motiviert verlassen. Aber findet auch jede(r) das passende Angebot? Olaf aus Berlin weiss zum Beipiel zu berichten, dass die Öffnungszeiten des Schwimmbades in seiner Gegend wenig kompatible mit seinen Arbeitszeiten sind. Ein anderes Schwimmbad wäre eventuell möglich - birgt in der Hauptstadt allerdings auch den zusätzlichen ÖPNV-Weg von gerne mal 90 Minuten.
Ähnliche Probleme wie in der Metropole gibt es natürlich auch auf dem Land. Mal wieder ein Pluspunkt für meine, oftmals kritisierte und unterschätzte, Heimatstadt. Diesbezüglich stimmt die heimische Infrastruktur.
Apropos Metropole: Tisch-38-Conny sendet eine Lebenszeichenmail aus Hamburg und teilt mit, dass sie sich weiterhin für das Schicksal von der Tischgemeinschaft und Tony Soprano interessiert. Gebe ihr ein kurzes Feedback und frage, wie ihr die Rückkehr in die Freih...äh...Wirklichkeit geglückt ist. Sie antwortet nicht umgehend - woraus ich schliesse, dass sie im Supermarkt Quark, Tomaten und Gurken kauft. Was will man sonst „draussen“ machen? Ach ja - Bewegung!
Am Ende vom Mittagessen trinke ich mir im Speisesaal möglichst täglich noch eine oder zwei Tassen Kaffee. Heute gesellt sich der Capo dazu. Er hat ein Geschenk für mich - als Dankeschön für die Begegnungen mit meinem Freundes- und Familienkreis. Zuhause habe ich bereits ein Kochbuch, welches sich aus der mehrteiligen TV-Dokumentation herauskristallisierte - nunmehr beschenkt mich Tony mit der 112seitigen Ringheftung der Klinikküche aus dem Osnabrücker Land. Nie wieder müsste ich ohne den morgendlichen Müsli-Obst-Quark auskommen - und nie werde ich das Pichelsteiner Süppchen kochen. Was natürlich Quatsch ist: immerhin hätte ich auch bis gestern behauptet, dass ich keinen Käse esse!
Times they are a changing.
Ein Geschenk vom Mafiosi? Bin ich jetzt in seiner Schuld? Werde ich zum Geldkurier oder Auftragskiller, weil mir ein Italo-Amerikaner eine zusammenkopierte Ansammlung von Rezepten mit gesundheitsbewusster Ernährung geschenkt hat?
Ich stelle mir diese Frage nicht weiter - es ist müssig! Und zu spät.
Tony scheint heute nicht vor Elan zu strotzen. Er wirkt niedergeschlagen und leicht aggressiv. Im Schwimmbad nervte ihn am Nachmittag ein Patient - der Bademeister mit italienischen Wurzeln schrie zweimal rum und als auch der böse Blick mit tiefem Atem nicht zur Beruhigung des Komikerpatienten reichte, fischte Tony den 140-Kilo-Mann mit der Saugbürste aus dem Wasser, welche eigentlich zur Bodenreinigung des Schwimmbeckens benutzt wird. Andere Wassergymnastikteilnehmer:Innen waren irritiert - verhielten sich allerdings auffallend ruhig.
Es mag an dem Polizeibesuch gelegen haben, der sich zur Mittagszeit in der Klinik rumspricht. Im Büro des Klinikdirektors soll dem Hausherrn empfohlen worden sein, die Personalakte von dem neuen Bäderbeauftagten noch einmal genauer zu überprüfen!