Blog 21
Tag 21
Um 22:57 Uhr gibt es einen markerschütterten Schrei in der Kurklinik.
Tony Soprano spielte in den vergangenen 2 Stunden unentwegt an seinem Mobiltelefon. Hatte ihn länger im Vortragssaal beobachtet, wo das Spiel unserer favorisierten Tifosi gegen Kroatien bei der Fussballeuropameisterschaft gezeigt wurde.
Kroatien führte im letzten Vorrundenspiel mit 1:0, was eventuell das Aus der Italiener bedeutet hätte. Da der Fussballgott die Regel von ‚'ein Spiel dauert 90 Minuten' ausgesetzt hat, erzielt Matti Zaccagni in der 98. und allerletzten Spielminute den Ausgleichstreffer. Somit steht Fussball-Italien im Achtelfinale der EM, Kroatien wahrscheinlich nicht und Tony Soprano signalisiert durch seinen Aufschrei beim Ausgleichstreffer, dass er bei den Wettanbietern auf seinem Handy die richtigen Quoten erzielt hat.
Höchst zufrieden zeigt der Capo sein spitzbübisches Kleinjungelächeln.
In diesen Momenten kann man die Schattenseiten des Mafiosi kaum erahnen. Man möchte ihn einfach gern haben, diesen Riesenmonchichi.
Schon am frühen Abend war ich ihm über den Weg gelaufen.
Hatte mich mit meiner langjährigen Freundin Stefania beim ortsansässigen Italo-Restaurant verabredet. Die gebürtige Hagenerin lebt seit Jahren in der Kurklinikgegend und hatte nunmehr Zeit für einen Besuch.
Mich verbindet mit der Halbitalienerin die Leidenschaft für das Land ihres Vaters, sodass die Wahl auf das SoleMia fiel. Wir sassen in der Aussengastronomie, als Tony aus dem Restaurant kam, um sich eine Zigarre anzustecken. Wir luden ihn an unseren Tisch ein - und es folgte ein Gesprächsversuch im Kauderwelsch vom Sprachtrio deutsch, englisch und italienisch.
Ein Riesenspass, in dem es noch nicht um Fussballwetten und ihre Manipulation ging, sondern um die Wohltat der mediterranen Küche.
Mein Salat war zumindest der kleinstmögliche Nenner zum aktuellen Stoffwechselhapping in der Kurklinik.
Mir doch egal, dass andere Menschen am Tisch zum Espressi Tiramisu bestellten.
Tony Soprano bekommt in den kommenden Tagen eine hausgemachte Variante von Stefania in die Klinik zugestellt. Sie ist berechtigterweise überzeugt, dass ihre Dessertvariation die schmackhaftere ist! Tony wird es zu geniessen wissen!
Hatte meinen ersten Therapietermin erst nach 08:30 Uhr.
Dem ergomentieren folgte die Wassergymnastik. Für mich der erste Besuch im wiedereröffneten Schwimmbad der Kurklinik. Seitdem das Bad in der Vorwoche eröffnet hat, ändert sich der Kleidungsstil der Klinikinsassen. Man trifft vermehrt auf ein Potpourri der bundesdeutschen Bademäntel - und heute sah ich sogar erstmals eine Kurgästin mit der üblichen Plastikbadehaube über den Flur gehen - auf dem Weg zur Badeeinheit.
Im Vorfeld hatte ich eine helle Freude an dem Vortrag ‚'Medikamentöse Therapie'‘. Hatte erwartet, dass es eine Art Dealer-Schulung wird.
Es ging jedoch lediglich um einen Teilbereich der Asthmamedikation und wie sich Cortison in der Behandlung auswirkt.
Habe die Runde frühzeitig verlassen - allerdings nur, um pünktlich bei der Achtsamkeitsgruppe zu sein, wo wir unser Leben als Busfahrt betrachteten. Linienbus? Reisebus? Nightliner?
In der Gedankenwelt ist Potential - welches ich anschliessend mit in den Feierabend nehme. Den beginne ich mit einem wohlverdienten Mittagsschlaf - obwohl die letzte Nacht die bisher schlaftrunkenste seid meiner Ankunft in Bad Rothenfelde war.
Insgesamt nimmt die Melancholie zu.
Starte morgen in die letzte Woche - was mich nicht nur glücklich stimmt. Könnte noch so ein, zwei, drei Monate in diesem Rhythmus hier weiterleben.
Vielleicht habe ich bis dahin auch etwas über den Grossonkel herausgefunden, der hier mal Bürgermeister gewesen sein soll.
Stelle mir, eine Stunde nach dem Spielabpfiff, die Frage, wie viel Gewinn man mit Fussballwetten macht und ob der Jubelschrei ein Gradmesser für diverse sprudelnde Einnahmen ist. Schaue im Internet mal unter www.tifosibet.com, oder so.