Blog 19
Tag 19
Erstaunlich ist, dass ich mich tagsüber für weitestgehend ausgeschlafen halte - obwohl mein Schlafrhythmus seit Wochen merkwürdig ist.
Letzte Nacht griff ich gegen 02 Uhr zum Buch, legte mich wieder hin, las um 05 Uhr die heimische Tageszeitung, legte mich wieder hin und ging um kurz nach 07 Uhr in das Kesselhaus - der freien Muckibude auf dem Klinikgelände.
30 Minuten Crosstrainer (mein Favorit, bei dem ich langsam auch eine Steigerung meiner persönlichen Effektivität feststelle. Dachte heute darüber nach, wie ich das Gerät zum Abschluss im Cabrio verstauen kann!?) und noch ein paar wenige Krafteinheiten, die vermeintlich die Muskulatur stärken sollen. Höre dabei über Kopfhörer meine eigene Spotify-Liste und freue mich über den Spass, den ich dabei habe.
Glauben kann ich es kaum.
Werde auch an Tisch 38 etwas schräg beäugt. Am freien Samstag gibt es eigentlich keinen Grund für wirklichen Frühsport - mit Ausnahme der senilen Bettflucht.
Augenscheinlich wird das Wetter endlich sommerlicher. Es bestände die Möglichkeit, sich in den Klinikpark zu legen, wo etliche Liegen zur Verfügung stehen. Mir würde es allerdings nicht gelingen, mich dort auf das Lesen zu konzentrieren.
Nutze den Vormittag, um das wunderbare Buch vom 'Kind, dass nicht fragte' durchzulesen. Meine italienische Seele ist mehr als erfüllt und die Planung für den nächsten Urlaub 'im Land, in dem die Zitronen blühen' muss mal dringend intensiviert werden.
Mein Kumpel Tony wird mir hoffentlich zukünftig ein paar Tipps aus der Heimat mit auf den Weg geben können! Jetzt, wo er selber zum ersten Mal im Land seiner Vorfahren weilt.
Zumindest wurde er nicht direkt zum Generalbundesanwalt nach Karlsruhe gebracht - in der Presse war kein Hinweis zu finden. Gesehen habe ich ihn heute allerdings auch nicht - bisher.
Verzichte in der Klinik auf den samstäglichen Eintopf zur Mittagszeit. 'Pichelsteiner Eintopf' erinnert mich an das 'Westfälische Blindhuhn'‘ vom Krankenhausaufenthalt 1984 - da war unter dem Begriff die Wochenübersicht der Küchenreste zu einer Suppe verarbeitet.
Der ‚Pichelsteiner‘ erteilte mir die Absolution, um mir am Nachmittag eine Tüte Pommes zu gönnen.
Mir ist nicht in Erinnerung, wann ich zuletzt derart bewusst eine Pommes Frites gegessen habe (ohne Mayo und/oder Ketchup), die auch noch so fantastisch schmeckte.
Wahrscheinlich hilft ein achtsames Essen auch beim Genuss - aber das steht erst kommende Woche auf dem Vortragsplan!
Die Darreichung in der Tüte optimiert den Bad Rothenfelder Charme einer Retro-Ortschaft! Und wieder bin ich gedanklich bei Peter Alexander. Seine aktive Erfolgszeit wird ungefähr deckungsgleich mit dem kulinarischen Siegeszug der Frittierkartoffelstäbchen sein.
Setze mich mit der Tüte auf eine Parkbank bei der alten Saline und denke durchgehend an Dieter Hallervorden - dem nächsten Granden der Unterhaltungsszene im vergangenen Jahrhundert.
'Guten Tag, ich hätte gerne eine Flasche Pommes!'.
Die Pommes, die Muse, die Sonne - es ist ein fantastischer Moment der Ruhe und Entspannung. Jener Art von Entspannung, die man sich für das Einschlafen wünscht. Auf der Parkbank vor der alten Saline klappt das schon mal ganz gut. In den wachen Momenten beäuge ich die anderen Flaneure und bilde mir ein, mehrfach Tony Soprano zu erkennen. Erstaunlich, wie viele Männer an einem Samstagnachmittag beim Spaziergang eine Zigarre rauchen.
Beim täglichen Blick in die Tony-Doku stelle ich fest, dass der Capo in New Jersey mit seiner Psychologin bereits über eine Kur gesprochen hat. Glaube allerdings nicht, dass das nichtvorhandene, amerikanische Gesundheitssystem Kuren in Deutschland anbietet - mit potentiellen Praktika zur beruflichen Wiedereingliederung als Poolwart oder Bademeister. In dem TV-Beitrag wird sogar von einer Aversion Tony Sopranos gegen Swimmingpools gesprochen. Die kann ich kaum glauben.
Neben der Nahrungsaufnahme, die noch durch eine Bratwurst und Stunden später von einem Salat ergänzt wurde, war mein zweiter Barbiertermin der Grund für meinen Spaziergang in den Ort. Hatte gefragt, ob die Rasur auch mit dem Messer stattfinden könnte - der Mitarbeiter, der es in der vergangenen Woche so wohlfühlend erledigte, ist darauf nicht geschult. Also wieder der Maschinenschnitt, inklusive Nasenwachs und Aftershavemassage. Wir verabschieden uns bis zur nächsten Woche. So soll es sein.