Blog 18
Tag 18
Man mag das kaum glauben - aber nach der Gerüchteküche zu urteilen, ist Tony Soprano heute nach Italien geflogen.
Es gab hier bereits mehrfach nachts einen Hubschraubereinsatz, der einen am sowieso leichten Schlaf hindert. Dachte bisher, dass es sich um den Transport für Notfälle in der kardiologischn Klinik handelt, die keine 500 Meter Luftlinie entfernt liegt. In der letzten Nacht wurde anscheinend der Capo abgeholt.
Wenn es stimmt, erfüllt sich für den Capo aus Amerika ein Lebenstraum.
Allerdings stellt sich sofort erneut die Frage, wie das alles mit Sopranos Anwesenheit im verträumt-mondänen Bad Rothenfelde in Verbindung zu bringen ist? Oder wurde er gar nicht freiwillig abgeholt? Und ging es für ihn auch gar nicht nach Italien? Manchmal landen deutsche Hubschrauber in Karlsruhe!
Erschreckend ist, dass beim Frühstück im Speisesaal ausgerechnet heute Andrea Botticellis Con Te Partio zu hören war - besser bekannt, als Time To Say Goodbye.
Es fällt manchmal so schwer, an Zufälle zu glauben.
Mein Tag begann mit dem sehr frühen Zeitungsstudium, in dessen Anschluss ich mich noch einmal für eine Stunde hinlegte - um dann pünktlich um 07:10 Uhr beim Krafttraining zu sein. Gute 50 Minuten „an den Geräten“ - alles vor dem ersten Kaffee. Es soll sich positiv auf die Gesundheit auswirken, sagt die Fitnesstrainerin. Mir reicht es schon, wenn es Pluspunkte beim Karma gibt.
Würde ich in der dunklen Jahreszeit ähnlich engagiert um 07:00 Uhr in der Nacht in der Sporthalle stehen?
Es folgen bis zum Mittagessen drei weitere Therapieeinheiten. Fühle mich weiterhin bestens betreut und in den Vorträgen gut beraten.
Nur dem Herren vom Rentenverband in Osnabrück, der als externer Dozent zur Altersvorsorge sprach, konnte ich nicht ertragen. Seine abgehackte Performance war nicht kompatible mit meinem Nervenkostüm. Er hatte sich auf eine gute Stunde Fachvortrag eingestellt.
Dreiviertel der Zeit habe ich nicht miterlebt.
Obwohl mich das Thema interessierte, setzte ich den Dozenten innerlich auf eine Liste, die ich gerne meinem Kumpel Tony zugespielt hätte!
Dafür sass ich, bis zum Achtsamkeitstraining, lesend in meinem geräumigen Zimmer. Bin da immer noch bei dem Buch von dem Deutschen, der zu einem langen Projekt in Italien ist. Auch das passt mit der Vorstellung, dass Tony gerade in ein Bel-Paese-Lokal zum Mittagessen einkehrt. Gönne ihm dabei einen fulminanten Meerblick.
Zum Start in das Wochenende gibt es um 14:00 Uhr eine letzte Runde auf dem Ergometer. Meine Wattzahl wird moderat angehoben, sodass ich anschliessend nicht mehr ins Städtchen gehe. Gönne mir eine Dusche und eine ausgedehnte Mittagsruhe.
Nebenbei betreibe ich eine Art von Ahnenforschung. Wer war mein Grossonkel? Kennt jemand einen Bürgermeister, dessen Namen ich noch nicht einmal wirklich kenne? Die Dame vom Heimatmuseum konnte mir nicht helfen - jetzt versucht es der führende ortsansässige Sozialdemokrat, den ich über das Internet ausfindig machte. Der Genosse hat gerade Zeit für eine mögliche Recherche und/oder die Suche nach weiteren potentiellen Auskunftgebern. Er liegt nach einer Knie-OP zuhause rum.
Habe ihm einen ganz angenehmen Reha-Ort empfohlen.
Auf dem Weg zum Abendessen hole ich mir am Postfach meinen Therapieplan für die kommende Woche ab. Es wird bereits die letzte vollständige Woche hier sein (was mich etwas sorgt). Es geht langsam auf den Abschied zu. Mit dem Altersvorsorgedozenten hat die Klinikleitung bereits ein erstes Zeichen gesetzt, um den Abschied nicht zu schwer werden zu lassen. Kommende Woche werde ich allerdings durchaus verwöhnt. Gleich Montag darf ich erst frühstücken, bevor es zur Wassergymnastik und zur Hydrojetmassage geht - und anschliessend gibt es den Dealer-Workshop zur ‚medikamentösen Therapie‘.
Frage mich, wie lange man wohl im Hubschrauber nach Italien unterwegs ist? Wann kommt Tony Soprano zurück nach Bad Rothenfelde? Kommt er zurück?