Blog 16
Tag 16
Es wird Zeit, dass morgen die Visite stattfindet. Meine Nächte entwickeln sich mehr zu Lesestunden im Sessel. Hoffe, dass es mal zu einer orthopädischen Begutachtung kommen kann - oder ich benötige die Hilfe der familieninternen Physiofachkraft. Die kennt sich mit Sportlern in dieser Region aus... - zudem bin ich eine Art Onkel von ihr und weiss ja, wie rührend sich mein Kumpel Tony um seinen Onkel Junior kümmert. In der benannten mehrteiligen TV-Doku wird genau darauf hingewiesen - die Fürsorge der Generationen innerhalb einer Familie.
Gut, wenn man Mitglied einer solchen Familie ist...
Es war heute eher ein verwirrend-ruhiger Therapieplan. Wenn man bereits vor dem Frühstück eine Einheit auf der Hydrojetmassage bekommt, hat man das Gefühl, dass von der Klinikleitung irgendein Happening vorbereitet wird! Auf meinem restlichen Therapieplan in dieser Woche ist keine Spitzfindigkeit zu erkennen!?
Allerdings wurde die Waage erneut eingestellt - mein Gewicht hat sich noch einmal für eine weitere Reduzierung entschieden. Wahrscheinlich liegt es am aktuellen Anreisetag der Neuen. Auch die sollen ja erstmal in Sicherheit gewogen werden.
Nächster Abschied beim Frühstück: Alex geht (und wird später durch Axel ersetzt) - aber nicht, ohne vorher seine Krankengeschichte zum Herzinfarkt erneut zum Besten zu geben. Fast wäre er zum Wunderheiler geworden, da er davon ausging, dass eine Zigarette und ein Schluck Mineralwasser den Druck im Brustkorb regulieren. Es war bis zu dem Zeitpunkt bereits zweimal bei ihm mit dieser Methode gutgegangen. Der Arzt im Krankenhaus teilte seine Auffassung wohl nicht ganz.
In meiner hiesigen Kurgeschichte hat Alex jedenfalls einen Sonderplatz - er sass mir im Speisesaal am Nahesten und seinen Namen kannte ich als ersten. Somit schaffte er es schon früh in meine Kur-Spotify-Liste.
In dem Vortrag zur konformen Ernährung bei Diabetes, wurde die Behauptung aufgestellt, dass man durchaus mal geniessen darf - beispielsweise Weingummi oder Lakritz. Jeweils eine Hand voll. Zudem wäre jede Schokolade mit einem 80%-Kakao-Anteil jeder Vollmilchschokolade vorzuziehen. Allein schon deshalb, weil man von der 80er nicht allzuviel verzehren könne. Mir ist diese Aussage völlig unbekannt und ich versprach einen Selbstversuch (keine Ahnung ob ich überhaupt schonmal eine solche Schoki ass).
Direkt vor dem Mittagessen gab es für die gestrige Kochtruppe eine erneute Achtsamkeitsrunde. Eine Körperreise. Eine Wohltat - die dafür sorgt, dass man leicht verpeilt zum Speisesaal schwebt!
Bin einigermassen verwundert, den Capo in typisch deutscher Arbeitskleidung zu sehen. Er trägt einen blauen Overall, der in orange eher der amerikanischen Knastkleidung entsprechen würde, und Gummistiefel. Da es im Kurhaus durchaus nach Chlor riecht, ist sein Auftrag deutlich.
Das klinikeigene Schwimmbad wird, nach mehrmonatiger Reparatur, wiedereröffnet und es wirkt, als wenn Tony Soprano die Poolpflege übernimmt. Das Bewegungsbecken in der Klinik ist nur unwesentlich grösser als der Pool in Newark.
An Tisch 38 gibt es dazu die Überlegung, ob man nicht ein Maskottchen zur Schwimmbadwiedereröffnung einführen könnte - eine Robbe oder so. Wir sind in Niedersachsen - da ist seit dem Tod der Walrossdame Antje bekanntlich eine Sympathiestelle vakant. Die scheidende Mitpatientin ist derzeit auf Jobsuche und würde sich bewerben. Bei der Frischfischfütterung wäre die überzeugte Vegetarierin allerdings eher als ungeeignet zu bewerten!?
Vor dem Feierabend ergometriere ich noch für 20 Minuten und stelle fest, dass mir etwas Sport im Tagesverlauf fehlt. Diese Erkenntnis hätte ich bei meiner Anreise nicht wirklich für möglich gehalten.
Löse anschliessend meinen Café-Gutschein ein und setze mich mit einem Kaffee auf die Sonnenterrasse - das Wetter lässt dieses Nachmittagsvergnügen endlich einmal zu. Treffe dort auf die Dame vom Bodensee - und wir unterhalten uns über die jeweilige Krankengeschichte und die Sinnhaftigkeit von einem eigenen Hund für den Bewegungsimpuls. Ein Berner-Sennenhund muss es bei mir dann allerdings wirklich nicht sein.
Werde dann mal später weiter über die Anschaffung eines Hundes nachdenken. Ich - der als Kind schon an der Haltung von Goldfischen gescheitert ist. Auch mit Meerschweinchen gab es innerfamiliär bereits tierunwürdige Momente.
Das die ehrenwerte Gesellschaft in Bad Rothenfelde vertreten ist, ist mir nun schon länger bewusst. Heute kam aber noch der Verdacht dazu, dass die Kurklinik von einem Geheimdienst beobachtet wird. An Tisch 38 wurde vor wenigen Tagen über die Sinnhaftigkeit von Organspende diskutiert. Die vorwiegende Meinung war, dass es sinnvoll erscheint, eine prinzipielle Organspende einzurichten - der man gegebenenfalls aktiv widersprechen muss. Wir sprachen ebenso über das kostenfreie Tattoo mit dem Logo der Organspende. Wir wussten davon, konnten das Piktogramm allerdings nicht benennen. Heute wird unserem Tisch Axel zugewiesen (der, gesundheitsbedingt, aus der Gegend von Bremen mit dem Taxi anreisen durfte) - er hat genau dieses Tattoo auf dem Unterarm. Manchmal glaube ich ja nicht an Zufälle.
Kurz vor 18 Uhr haben alle Kurgäste zu Abend gegessen - um dann dem zweiten Spiel der Nationalmannschaft zuzuschauen. Neunzig Minuten später ist klar, dass die Nagelsmänner wenigstens auch ein viertes Spiel im verregneten Sommermärchenversuch spielen dürfen. Tony und meine Tifosi legen hoffentlich morgen Abend nach. Hoffentlich.